Wie alles begann…
März 2019
Unser Entschluss stand fest. Statt an einem Ort zu bleiben und darauf zu warten, dass wir alt werden, wollten wir noch einmal etwas ganz Neues wagen. Ein Schiff sollte im Ruhestand unser neues Zuhause werden. Eine erste Besichtigungstour nach Briare in Frankreich verlief zunächst enttäuschend. Wir realisierten, dass wir erheblich mehr investieren mussten, um ein Schiff zu erwerben, das sowohl technisch als auch in Bezug auf den Wohnkomfort unseren Ansprüchen und unserem Vorhaben, ganzjährig darauf zu leben, entsprach. Spaß hatten wir aber mit unseren Freunden in Frankreich auf dieser Tour natürlich trotzdem.
Der holländische Schiffsmakler Doeve bot uns als nächstes ein Schiff an, das in Paris lag. Das Exposé hörte sich sehr interessant und vielversprechend an. Wir hatten also einen guten Grund, diese schöne Stadt einmal wieder zu besuchen und die „Tarahumara“ genauer in Augenschein zu nehmen. Der TGV brachte uns schnell ans Ziel.
April 2019
Ein verlängertes Wochenende in Paris sollte die Entscheidung bringen. Da lag sie im Port Arsenal mitten in der Stadt, 15 Minuten Fußweg von Notre Dame. Es war Liebe auf den ersten Blick! Wir hatten gefunden, wonach wir suchten.
Nachdem wir uns über den Kaufpreis geeinigt und diesen per Handschlag besiegelt hatten, schloss sich ein wunderbares Wochenende in Paris an. Nichts ahnend machten wir von Notre Dame einige nahezu historische Fotos eine Woche vor dem Brand. Abends wurde der Start in unser neues Leben in einem guten Restaurant gebührend gefeiert. Leider rief die Arbeit, und wir mussten schon bald zurückfahren. In naher Zukunft jedoch würden wir frei sein und Zeit haben, alle Orte, die uns interessierten, ausgiebig zu besuchen. Die Aussicht darauf, in verschiedenen Städten zu leben und abwechselnd in Amsterdam, Paris, Berlin oder Wien mit unserem mobilen Zuhause zu liegen, beflügelte uns geradezu.
Mai 2019
Nun begann der „bürokratische Marathonlauf“. Alle mit dem Eignerwechsel bei einem Schiff dieser Größe notwendigen Dinge mussten erledigt werden: Untersuchung durch Inspektoren der Schiffsuntersuchungskommission (SUK), Beantragung eines Schiffsmessbriefes, Eintragung in das Schiffsregister, Umprogrammierung der Funkgeräte und Beantragung der Zuteilungsurkunde durch die Bundesnetzagentur, Abschluss einer geeigneten Schiffsversicherung und, und, und…
Inzwischen füllte sich ein dicker Ordner mit allen notwendigen Unterlagen.
Außerdem mussten wir noch ein Schifferpatent ablegen, da unser 30 Jahre alter Bootsführerschein für die Größe der Tarahumara nicht ausreichte. Wir buchten zusammen mit unserem Freund Rudi Schinnerl einen Kurs an der Müritz und meldeten uns zur Prüfung bei der Bundesbehörde in Mainz für August an. Die theoretische Prüfung stellte sich als so anspruchsvoll wie ein Staatsexamen heraus und dauerte mit schriftlichem und mündlichem Teil einen ganzen Tag. Der Vorsitzende der Prüfungskommission war der Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes. Schließlich war es geschafft und wir hielten unser frisch gebackenes Patent in Händen.
Nun ging es noch darum, einen Funkkurs zu absolvieren, den wir in Ruhe im Winter angingen.
Juni 2019
Im Juni waren wir weiterhin mit der Erledigung aller notwendigen Formalitäten beschäftigt. Zudem mussten wir für die Überführung im Juli noch einen Schiffsführer finden, da wie beschrieben unser Prüfungstermin erst im August sein würde.
Es war ein großer Glücksfall, dass wir auf Christian Hubers Homepage trafen. Er erklärte sich bereit, uns auf unserer Jungfernfahrt zu begleiten. Wer interessiert ist an den Reiseberichten, findet diese auf www.kinette.ch. Berichte Nr. 152 – 155.
Juli/August 2019
Das Fahren eines Schiffes von 24m Länge und 80t Gewicht war schon etwas anderes als die Reisen mit all den Charterbooten, die wir bis dahin gemacht hatten. Paul erwies sich aber auch in diesem Bereich, wie in so vielem, als ein Naturtalent. Er lernte sehr schnell, und die Übung auf nahezu tausend Kilometern bis zu unserem künftigen Heimathafen in Ostfriesland versetzte ihn sehr bald in die Lage, die Tarahumara sicher zu manövrieren.
Unser Vorhaben, in den Sommerferien die Strecke von St. Quentin bis Weener zurückzulegen, mussten wir revidieren. Zum Glück hatten wir uns schon rechtzeitig einen Liegeplatz in Holland gesichert, wo die Tarahumara bis zum Oktober bleiben konnte, wenn wir die letzte Etappe zurücklegen wollten. Das erwies sich als sehr vorausschauend.
September/Oktober 2019
In den Herbstferien nahmen wir uns dann die Zeit, den letzten Teil des Törns zu absolvieren. Unser Freund Rudi begleitete uns als Funker. Seine Segelerfahrung kam zudem der ganzen Crew zugute.
In Groningen legten wir einen Ruhetag ein und besuchten diese quicklebendige Studentenstadt. Das gute Wetter lies es zu, dass wir Livemusik unter freiem Himmel erleben und den Wochenmarkt genießen konnten.
Für die Fahrt über den Dollard hatten wir Bernhard Kießetz, einen waschechten Ostfriesen aus Weener, um Begleitung gebeten. Wir befuhren erstmalig ein tidenabhängiges Gewässer, und da man es auf dem Dollard und der Ems mit zum Teil starker Strömung zu tun hat, schien es uns sicherer, einen ortskundigen Lotsen an Bord zu haben. Die Zeit bis zu seiner Ankunft am nächsten Morgen nutzten wir für Arbeiten an Bord.
Paul meisterte auch diese besondere Herausforderung mit Bravour. Wir legten am 5. Oktober um 18.30 Uhr im Alten Hafen Weener an und wurden gleich von Bernhards Frau Dore herzlich begrüßt.
Ein Abendessen im Hafen 55 war der Ausklang des Tages. Viele Aufenthalte in dieser schönen Location sollten folgen.
Nachdem wir Rudi verabschiedet hatten, blieben wir noch eine weitere Woche an Bord, um einiges zu erledigen. Wir wollten die Tarahumara auch hin und wieder an den Wochenenden im Winter bewohnen. Also mussten wir wir dafür sorgen, dass die Zentralheizung gewartet und der Heizöltank gefüllt wurde
Wir führten außerdem einen Ölwechsel durch. Zwei Inspektoren aus Hamburg kamen an Bord, um die „Zone 2-Zertfizierung“ (Küste) durchzuführen. Am 11. Oktober kam Paul King aus London noch einmal, um mehrere Tage lang mit uns all die technischen Details durchzugehen, für die im Sommer in St. Quentin keine Zeit war. Zwei Tage lang gingen wir all die Fragen durch, die sich uns in den letzten Monaten gestellt hatten. Wir waren ihm dankbar dafür, bekamen wir doch so wieder ein Stück mehr Sicherheit im Umgang mit unserem neuen Zuhause.
Im Dezember hielten wir uns noch einmal für ein verlängertes Wochenende an Bord auf.
Was wir nicht wussten: Es sollte für viele Monate unser letzter Aufenthalt an Bord sein.
Die Pandemie kam…..